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Zuflucht Saloniki: Die Sepharden im osmanischen Exil
Eine Auswahl (1492-1556) aus Joseph Nehamas Histoire des Israélites de Salonique
Esther Benbassa, Aron Rodrigue
Die Geschichte der sephardischen Juden
Von Toledo bis Saloniki
Übersetzt von Lilli Herschhorn
2005. 326 S., 24 x 17 cm
Kartonierte Ausgabe: ISBN 978-3-89911-002-9, € 47,50
Ausgabe in Bibliotheksleinen: ISBN 978-3-89911-012-8, € 50,50 (vergriffen)
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Zu diesem Buch
Die vorliegende Übersetzung ist die erste umfassende Darstellung in deutscher Sprache der judenspanischen Gemeinschaft in den osmanischen Gebieten der Balkanregion. Nur dort konnten die ab 1492 von der Iberischen Halbinsel vertriebenen Juden einen eigenständigen, bis in das 20. Jahrhundert bestehenden sephardischen Kulturbereich aufbauen – in den anderen Zufluchtsgebieten (Nordafrika, Westeuropa, Amerika) wurden oder blieben die Aschkenasen die kulturell dominierende jüdische Gruppierung.
Nach einem Abriss der Vertreibung der spanischen und portugiesischen Juden, von denen große Teile bis ins 18. Jahrhundert hinein versuchten, als Neuchristen bzw. als Marranen den Verfolgungen zu entgehen, beleuchten die Autoren die Ansiedlungen in Westeuropa und Nordafrika.
Die Mehrheit der die Iberische Halbinsel verlassenden Juden fand jedoch Zuflucht im Osmanischen Reich, wo sie von den muslimischen Herrschern unter den Bedingungen der dhimma als ein nützliches Element der wirtschaftlichen Entwicklung angesehen wurden. Die dhimma, die die Unterordnung der Teile der nichtmuslimischen Bevölkerung regelt, die Anhänger einer Offenbarungsreligion sind, war der rechtliche und gesellschaftliche Rahmen, in dem sich jüdisches Leben entfalten konnte. Es war nicht nur von den Restriktionen geprägt, die die Obrigkeit anordnete, sondern auch von den innerjüdischen Auseinandersetzungen zwischen Aschkenasen, Romanioten und Sepharden. Diese rührten in nicht unwesentlichem Maße von einem Traditionsbruch der sich ansiedelnden Sepharden her: Sie weigerten sich, sich den lokalen jüdischen Bräuchen anzupassen.
Detailliert stellen die Autoren die Entwicklung des – in vielen Bereichen durch die dhimma als autonom garantierten – politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens dar, zeichnen philosophische Entwicklungslinien nach und machen die Entfaltung einer judenspanischen Kultur mit eigener Sprache und Literatur sichtbar.
Diese Kultur wurde nach mehr als dreihundertjähriger Existenz ab dem beginnenden 19. Jahrhundert in einem langsamen Prozess Opfer des Niedergangs des Osmanischen Reiches. Mit dessen Auflösung in Nationalstaaten, die sich zu ihrer Organisation westeuropäischer Politikmuster bedienten, entfiel der bisherige Schutz einer autonomen Entwicklung – insbesondere Recht, Wirtschaft und Ausbildung wurden gesamtstaatlichen Regelungen unterworfen.
Die Versuche in den jüdischen Gemeinden, der Bedrohung ihrer ökonomischen Grundlagen und kulturellen Identität, durch Anpassungsprozesse entgegenzuwirken, lösten heftige Kontroversen zwischen religiösen und weltlichen Kreisen aus. Gefördert wurden die Modernisierungsbestrebungen durch westliche jüdische Organisationen wie die Alliance israélite universelle, den Hilfsverein der deutschen Juden oder die Zionistische Weltorganisation sowie durch die Francos, Juden aus christlichen Staaten, denen die osmanischen Herrscher Privilegien gewährten.
In diesem Zwiespalt zwischen Bewahrung der Tradition und Herausforderung der Moderne entwickelte sich ein reges intellektuelles Leben, das durch die Haskala (jüdische Aufklärung, deren sephardische Verfechter die maskilim waren) und die Wissenschaft des Judentums geprägt war und ein reichhaltiges Buch- und Zeitungswesen in judenspanischer Sprache hervorbrachte.
Er war gleichzeitig die ideelle Basis für die sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelnden zionistischen Bewegungen, deren vielfältige Nuancen im Osmanischen Reich und den aus ihm hervorgehenden Staaten die Autoren im Kontext der jeweiligen gesellschaftlichen Bedingungen darstellen.
Mit dem Zerfall des Osmanischen Reiches machten sich erstmals vorher kaum in Erscheinung getretene antisemitische Tendenzen bemerkbar, die aber – mit Ausnahme der unter griechische Herrschaft gekommenen Stadt Saloniki – nirgends zu einer existenziellen Bedrohung des jüdischen Lebens wurden. Diese stellte erst das nationalsozialistische Deutschland dar, das mit der Vernichtung der Juden nach der Besetzung des Balkans unverzüglich begann.
Die Mehrheit der Überlebenden verließ nach dem Kriege die Region. Die nach Israel Emigrierten fanden sich in der dortigen Herkunftshierarchie zwischen Ost- /Mitteleuropa und Nordafrika angesiedelt.
Der sephardische Kulturkreis war erloschen.
Die Autoren:
Esther Benbassa ist Professorin für Moderne Jüdische Geschichte an der École Pratique des Hautes Études, Sorbonne, Paris, und Direktorin des Alberto-Benveniste-Zentrums für Sephardische Studien und Kultur
Aron Rodrigue ist Ordinarius für Geschichte an der Stanford University (USA) und Eva-Chernov-Lokey-Professor für Jüdische Studien
Der Inhalt
Einleitung · Prolog. Das Ende von Sefarad [Eine Geschichte der Koexistenz; Die große Entwurzelung; Die portugiesische Frage; Die sephardische Diaspora in Westeuropa; Nordafrika] · 1 Gemeinschaft und Gesellschaft [Ankunft im Osmanischen Reich; Konflikte auf der interjüdischen Ebene der Gemeinden; Struktur und Autonomie der Gemeinden; Die Gemeindefinanzen; Die Gesetzgebung] · 2 Wirtschaft und Kultur [Die Sepharden in der osmanischen Wirtschaft (Die Auswirkungen des Wandels in der Weltwirtschaft); Das intellektuelle Leben (Die gelehrte hebräische Kultur, Die sabbatianische Eruption, Die judenspanische Gelehrsamkeit)] · 3 Die Sepharden im Zeitalter der Modernisierung [Verschiebung der Grenzen; Die Modernisierung des Staates nach westlichem Muster am Beispiel des Osmanischen Reichs; Modernisierungsstrategien; Die Rolle der Eliten; Die Alliance israélite universelle; Die Sepharden und der Nationalstaat; Die innere Dynamik (Die Haskalah und die Wissenschaft des Judentums, Die schriftliche Kommunikation)] · 4 Von der Modernisierung zur Politisierung [Die Akteure des Frühzionismus (Der Fall Bulgarien, Zionisten ohne Zionismus im Osmanischen Reich, Die innerjüdische politische Arena, Eine günstige politische Konjunktur, Im Untergrund); Der Zionismus in Griechenland; Der Sephardismus, eine zweite Form des Diaspora-Nationalismus; Der Siegeszug des Zionismus in Bulgarien; Juden in der sozialistischen Bewegung] · 5 Die Zerstörung des sephardischen Kulturbereichs Shoah und Emigration [Antisemitismus; Unter deutscher Besatzung – Serbien und Nordgriechenland; Die Gebiete unter italienischer Besatzung – Das südliche Griechenland; Das "unabhängige Kroatien": Sarajewo; Bulgarien und die Gebiete unter bulgarischer Besatzung; Die neutrale Türkei; Ein letztes Exil] · Schlussfolgerungen · Quellen [Archive; Zeitungen und Zeitschriften] · Bibliographie · Register [Personenregister; Ortsregister]