Zu diesem Buch
Mit der am 1. Januar 1868 eröffneten Norddeutschen Seewarte hatte der ehemalige Navigationslehrer Wilhelm von Freeden ein Institut ins Leben gerufen, das nach der
Methode behördlicher Wirtschaftsführung durch Vermittlung von praktisch verwertbaren ozeanographischen und meteorologischen Erkenntnissen der deutschen
Handelsschiffahrt Hilfen anbieten sollte. Die Norddeutsche Seewarte, seit der Reichsgründung von 1871 bis 1945 Deutsche Seewarte, nach 1945 zunächst Deutsches
Hydrographisches Institut und gegenwärtig Bundesamt für Seeschiffahrt und Hydrographie pflegt dieses Erbe noch bis zum heutigen Tage. Nach amerikanischem
Vorbild als außeruniversitäres Forschungsinstitut gegründet und von 1875 bis 1945 als Dienststelle der Marine, gelang es Nautiker, die damals noch keine
akademische Ausbildung besaßen zur Gewinnung wissenschaftlicher Daten der Wetterkunde und Ozeanographie anzuleiten, die von Fachleuten in der Zentralstelle zu
Hamburg dann ausgewertet wurden. Da zur Gründungszeit die deutsche Handelsflotte noch überwiegend aus Segelschiffen bestand, galt die Förderung
zunächst der Leistungssteigerung des Transportsystems Segelschiff. Die auf Langreisen verkehrenden Segler waren vorwiegend rahgetakelte Schiffe, die aufgrund ihrer
Takelungsart nur unter einem Winkel von ca. 85° am Wahren Wind einen Kurs über Grund anliegen konnten, so dass sie sich bei einer vorgegebenen Windrichtung
nur in einem Sektor von 190° fortzubewegen vermochten. Daher war der Kapitän eines solchen Rahseglers immer darauf angewiesen, einen günstigen Wind
und den richtigen Strom anzutreffen. Mit Hilfe der von der Seewarte durchgeführten Routenberatungen und dann vor allem durch deren nautische Veröffentlichungen,
sowie der praktischen Anwendung des Barischen Windgesetzes, wodurch Windsysteme als Hoch- und Tiefdruckgebiete zu erkennen waren, wurde eine bis 1914 beachtliche
Verkürzung der Reisezeiten für Rahsegler erreicht. Dennoch hatte die Unfähigkeit, trotz erheblicher Reisezeitverkürzungen den Zeitfaktor für
Transportleistungen in die für eine Industriewirtschaft notwendigen engen Grenzen setzen zu können, die Verdrängung des frachttragenden Segelschiffes zur
Folge.
Vor dem Hintergrund der Wirkungsgeschichte aus den Anfängen der Deutschen Seewarte wird hier eine Analyse des Transportsystems Segelschiff vorgelegt. Sie beruht u.
A. auch auf der Rekonstruktion der seglerischen Parameter eines Rahseglers, die auf experimentellem Wege durch das Segelschulschiff der deutschen Marine "Gorch Fock"
gewonnen und durch den Vergleich mit Logbuchangaben aus dem Untersuchungszeitraum erhärtet wurden.
Daraus lässt sich die These ableiten, dass eine erneute Nutzung der Energie des Windes für die Handelsschiffahrt weniger eine Frage der Technik der Gestaltung der
Takelage als Energiewandler, sondern vielmehr ein Problem der Meteorologie sein wird, in welcher Weise es gelingt, durch präzise Langzeitprognosen Angaben über
den Wind nach Richtung und Stärke zu erhalten.
Der Inhalt
Geleitwort zur Schriftenreihe · Vorwort · Einleitung · I Deutsche Handelsschiffahrt um 1870 [1 Ursachen und Entwicklung
des deutschen Überseehandels; 2 Organisation des deutschen Überseehandels; 3 Die deutsche Handelsflotte um 1870; 4 Die Regelung der Ausbildung für
Kapitäne und Steuerleute] · II Die technische Leistungsfähigkeit von Segel- und Dampfschiffen um 1870 [1 Technische Grundlagen des Segelns; 2
Rekonstruktion der seglerischen Parameter eines Rahseglers aus dem 19. Jahrhundert; 3 Das Problem der Geschwindigkeit von Segelschiffen; 4 Die Bedeutung der
meteorologischen Navigation für Langreisen; 5 Die technische Reife des Dampfschiffes um 1870] · III Die Entstehung der deutschen Seewarte [1
Entstehung der Segelanweisungen; 2 Matthew Fontaine Maury und der Beginn der modernen Ozeanographie; 3 Die Gründung der Norddeutschen Seewarte in Hamburg]
· IV Die Seewarte unter der Leitung Wilhelm von Freeden 1868 - 1874 [1 Aufbau und Organisation des Institutes; 2 Die Freeden'schen Segelanweisungen; 3
Wertung und Kritik an der Arbeit der Seewarte] · V Die deutsche Seewarte als Reichsbehörde [1 Finanzierungsprobleme der Norddeutschen Seewarte; 2
Die politischen Hintergründe der Seewartengründung; 3 Die Übernahme der Seewarte durch das Reich; 4 Die Deutsche Seewarte unter Georg Neumayer 1875 -
1903] · VI Der Einfluss der Seewarte auf die deutsche Segelschiffahrt [1 Die Zusammenarbeit der Kapitäne mit der Seewarte; 2 Auswertung und
Nutzbarmachung des Beobachtungsmaterials; 3 Die deutsche Segelschiffahrt um die Jahrhundertwende; 4 Die Auswirkungen der Seewartenarbeit auf die Leistungen der
deutschen Segelschiffe] · VII Abschließende Beobachtungen [1 Der Niedergang der Segelschiffahrt in Deutschland; 2 Die Bedeutung des Zeitfaktors; 3
Versuche, eine Renaissance des Segelschiffs herbeizuführen] · Zusammenfassung und Schluss · Anhang [Beschreibung von Messungen
zur Ermittlung der Segeleigenschaften eines Rahseglers und der Auswertung von Messergebnissen vom Segelschulschiff "Gorch Fock"; Taf. 1: Vergleich der
zahlenmäßigen Entwicklung der britischen und der deutschen Handelsflotten mit ihrem Anteil von Segel- und Dampfschiffen; Taf. 2: Vergleich der
raummäßigen Entwicklung der britischen und deutschen Handelsflotten mit ihrem Anteil von Segel- und Dampfschiffen; Taf. 3: Bestand der deutschen Handelsflotte
und ihr Anteil an Segel- und Dampfschiffen in Nord- und Ostsee von 1860 - 1914 (zahlenmäßige Entwicklung); Taf. 4: Bestand der deutschen Handelsflotte und ihr
Anteil an Segel- und Dampfschiffen in Nord- und Ostsee von 186 - 1914 (Raummäßige Entwicklung); Taf. 5: Alters- und Materialstruktur der deutschen
Segelschiffsflotte; Taf. 6: Segelschiffsbestand im Nordseegebiet; Taf. 7: Segelschiffsbestand im Ostseegebiet; Abb. 51: Vorhersagegenauigkeit und Reisezeitgewinne durch W.
von Freedens Segelanweisungen; Fotos: W.I. von Freeden, Dr. G. von Neumayer, Gebäude der Deutschen Seewarte um 1900] · Quellen- und
Literaturverzeichnis