Zu diesem Buch
Vor dem Hintergrund einer äußerst bewegten Dekade der europäischen Geschichte auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs von der Mitte der 1960er Jahre bis
zu den Helsinki-Beschlüssen von 1975 analysiert Paulina Gulinska-Jurgiel die Europadiskurse in der Presse dreier Länder des ehemaligen Ostblocks: der
Volksrepublik Polen, der DDR und der CSSR.
Für ihre Untersuchung der öffentlichen Diskurse stützt sich die Autorin auf die empirische Auswertung von insgesamt sieben kulturpolitischen
Wochenzeitschriften: Polityka, Tvorba, Wochenpost, Szpilki, Dikobraz, Eulenspiegel und Tygodnik Powszechny. Neben den klassischen Pressetexten spielt dabei
die Bildanalyse von Karikaturen eine wesentliche Rolle.
Die systematische Untersuchung und Beschreibung der Wahrnehmung von ,Europa' im Ostblock gründet auf einer Auseinandersetzung mit differenzierten Fragestellungen:
Reflektierten die Europadiskurse im Ostblock ,Europa' als eine politische, wirtschaftliche, geographische und kulturelle Gegebenheit oder dienten sie nur den politischen Zielen
einer staatssozialistischen Propaganda? Wie sah das Verhältnis zwischen ,Europa' und der ,Nation' östlich des Eisernen Vorhangs aus? Gab es dort Diskurse, die
,Europa' als Werte- und Kulturgemeinschaft oder als Code für eine bestimmte soziale Ordnung definierten?
Paulina Gulinska-Jurgiels Studie gibt einen fundierten Einblick in die pro-europäische Propaganda einiger offizieller Medien vor dem Hintergrund des KSZE-
Prozesses, die keinerlei Zweifel an der als sozialistische Erfolgsgeschichte präsentierten Deutung der politischen Entwicklungen zuließ. In diesem Zusammenhang
kristallisierte sich paradoxerweise noch ein zweiter Aspekt unübersehbar heraus: Die geführten Europadiskurse standen eindeutig im Zeichen der ,Nation' – ein
Aspekt der teilweise bis heute nachwirkt. Die aktuellen Befürchtungen in ostmitteleuropäischen Staaten um den Verlust der nationaler Identität durch
Europäisierung haben hier eine nicht unwesentliche Wurzel.
Mit der vorliegenden Arbeit hat Paulina Gulinska-Jurgiel die Grundlage für die Erforschung eines vernachlässigten Themas in der Europäistik gelegt: das
Europabild in den kommunistischen Staaten Ostmitteleuropas. Wie fruchtbar diese Forschung für die jeweiligen nationalen Geschichtsschreibungen einerseits und die
Presseforschung andererseits ist, dafür hat sie eindrückliche Ergebnisse vorgelegt.
Paulina Gulinska-Jurgiel analyzes the debates in the media on Europe in three nations of the former Eastern block (Poland, German Democratic Republic and
Czechoslovakia) during the 1960s until the Helsinki Accords in 1975. The author utilizes the results of an empirical study which she carried out on seven weekly journals:
Polytika, Tvorba, Wochenpost, Szpilki, Dikobraz, Eulenspiegel, and Tygodnik Powszechny. Apart from the texts, analyses of cartoons play a significant role for the
investigation.
Questions such as whether the discourses on Europe in the former Eastern block regarded Europe as a political, economic, geographical and cultural idea or whether they were
used for the aims of a socialtist propaganda are the basis of the research study in order to find information on the perception of Europe during this time.
Gulinska-Jurgiel's study provides an impression of the pro-European propaganda of some official media. The debates and views on Europe were determined by the concept of
nation which continues to have an effect on the present worries of citizens in Eastern Europe who fear the loss of national identity due to Europeanization.
Gulinska-Jurgiel's findings open new insights for the national historiographies as well as for media studies.
Der Inhalt
Danksagung · Vorwort von Wolfgang Schmale · 1 Einleitung [1.1 Die Europa-Wahrnehmung in der Volksrepublik Polen, der CSSR und der DDR vor
dem Hintergrund des geteilten Kontinents (1965-1975): Forschungsanliegen und Fragestellung; 1.2 Forschungsstand; 1.3 Europaforschung als Diskursanalyse; 1.4
Kulturwissenschaftliche Herangehensweise an die Erforschung der Europa-Bilder im Ostblock (Europa im Ostblock zwischen Transfer und Entfremdung, Zur Visual History
Europas, Öffentlichkeit(en) im Ostblock, Quellenbasis); 1.5 Struktur der Arbeit] · 2 Plädoyer für ein ,Europa, in Sicherheit und Frieden im Kontext
seiner Zeit [2.1 Pro-europäische Propaganda im offiziellen Diskurs der kommunistischen Parteien des Ostblocks (Sozialistische Initiativen und Erklärungen
für Sicherheit und Entspannung in Europa, Von den Stalin-Noten zum Rapacki-Plan: die sozialistischen Initiativen der fünfziger Jahre, Die Bukarester Erklärung
des Politischen Beratenden Ausschusses des Warschauer Paktes vom 6. Juli 1966, Die Karlsbader Erklärung der europäischen kommunistischen und Arbeiterparteien
über europäische Sicherheit vom 26. April 1967, Der Budapester Appell des Politischen Beratenden Ausschusses des Warschauer Paktes vom 17. März 1969,
Die Prager Erklärung des Warschauer Paktes vom 31. Oktober 1969 und die Prager Erklärung vom 26. Januar 1972, Der langwierige KSZE-Prozess, Multilaterale
Konsultationsvorbereitungen in Helsinki (22. November 1972-8. Juni 1973) und I. Phase der KSZE (3.-7. Juli 1973), Kommissionsphase in Genf (18. September 1973-21. Juli
1975) – II. Phase der KSZE, Gipfeltreffen in Helsinki – III. Phase der KSZE (30. Juli-1. August 1975), Forschungsinstitute für Internationale Angelegenheiten
und ihre Rolle in der KSZE-Propaganda); 2.2 Nationale Differenzen und Affinitäten zwischen der Volksrepublik Polen, der CSSR und der DDR vor dem Hintergrund des
KSZE-Prozesses] · 3 Europa in der offiziellen kulturpolitischen Publizistik [3.1 Zur Lage der kulturpolitischen Presselandschaft im Ostblock.
Funktionsmechanismen und Kontrollsysteme (Die Volksrepublik Polen, Die CSSR, Die DDR); 3.2 Öffentlichkeit zwischen verordneten Richtlinien und Freiheitsräumen.
Aufgabengebiete und Entwicklung dreier ,Normalisierungsprodukte, ( Wochenpost, Polityka, Tvorba); 3.3 Europadiskurse in den Wochenzeitschriften: oktroyierte
Transnationalität oder inspirierende Rolle des Ausschlussmechanismus? ( Europanarrative als Spiegelbild der Politik, Der Warschauer Pakt als Initiator und Hüter der
europäischen Sicherheit, Auf dem Weg zur KSZE, In den Fesseln des Nationalen?, Hoffnung Frankreich, Deutschland im europäischen Kontext, Blicke auf die EWG:
Zwischen Kritik und verschleierter Bewunderung, Infragestellung des EWG-Monopols auf ,Europa,, Innere Probleme der EWG, Europa intensiv: Publizistische Polemiken)]
· 4 Visual History Europas: ostmitteleuropäische offizielle Satire (Szpilki, Dikobraz, Eulenspiegel) [4.1 Kontrollierte Freiräume oder ein gesteuertes
Propagandainstrument? (Szpilki, Dikobraz, Eulenspiegel); 4.2 Transfer und Entfremdung in der Alltagspraxis der ostmitteleuropäischen Karikatur; 4.3 Die Durchsetzungskraft
der nationalen Freund- und Feindbilder (Die Bundesrepublik Deutschland, Die USA); 4.4 Europa – Membrane der geopolitischen Ereignisse] · 5 Grenzen und
Möglichkeiten des europäischen Dialogs: Tygodnik Powszechny als Fallbeispiel [5.1 Historische Kontinuitäten im geteilten Europa: Entstehung,
Wirkung und Mitarbeiter der Wochenzeitschrift Tygodnik Powszechny; 5.2 Europa: eine kultur-zivilisatorische Einheit (Historisches Erbe des Kontinents: ein gemeinsames
Fundament und Herausforderung, Das Jahr 1966: ein Kampf um das Millenium); 5.3 Europa praktizieren (Europäische Werte auf polnischem Hof: Die politischen Initiativen
des Tygodnik Powszechny, Internationale Personennetzwerke zwischen Ost und West); 5.4 Europa individuell: Stefan Kisielewski (Gegen die ,Verwestlichung, von Tygodnik
Powszechny, Unterwegs in Europa und über Europa hinaus, Europa im Schatten des Pessimismus)] · 6 Schlussbemerkungen · 7 Summary
· Literatur- und Abkürzungsverzeichnis; Namensregister; Anhang: Karikaturen