Zu diesem Buch
Ein Überblick
Wiewohl die Grundschule als tragendes Fundament des gesamten Bildungswesens die persönliche und berufliche Entwicklung der jeweils nachwachsenden Generationen
entscheidend beeinflusst, sind wissenschaftliche Untersuchungen über die diesen Schulbereich in seinem historischen Werdegang jeweils prägenden Momente selten
auf spezielle Aspekte und Probleme bezogen und noch nicht systematisch umfassend angelegt. Zum Ausgleich dieses Desiderats hat der Autor in der vorliegenden Studie die
historische Entwicklung der obligatorischen Grundschule in Deutschland seit ihrer Einrichtung durch die Weimarer Reichsverfassung bis zur Gegenwart nachgezeichnet. Die Wahl
einer epochalen, chronologisch-systematischen Gliederungsstruktur ergab sich aus der im Laufe der Studien gewonnenen Erkenntnis, dass sich auch im Bereich der Grundlegung
der Berufs- und Lebenschancen junger Menschen die vielschichtigen Einflüsse des jeweiligen epochalen "Zeitgeistes" signifikant niederschlugen.
Nach einleitenden und hinführenden Überlegungen zur Begründung, zum Aufbau und zum Erkenntnisinteresse der Analyse sowie grundlegenden
geschichtsphilosophischen und terminologischen Reflexionen wird die Genese der Grundschule in der Weimarer Republik, im Dritten Reich, in der Nachkriegszeit und in der
Reformepoche seit Ende der sechziger Jahre auf dem Hintergrund der diese Epochen charakterisierenden politisch-gesellschaftlichen, geistig-kulturellen sowie erziehungs- und
bildungstheoretischen Entwicklungen dargelegt. Anhand umfangreichen Quellenmaterials werden die Einflüsse, Theorien, Implikationen und Leitgedanken der
Entwicklungspsychologie und Begabungsforschung, der pädagogischen Theoriebildung sowie der Didaktik und Methodik untersucht und dargestellt. Die überregional-
epochale Synopse der staatlichen Richtlinien und Lehrpläne dokumentiert charakteristische Gemeinsamkeiten und Spezifika in der über sechzigjährigen
Entwicklungsgeschichte der Grundschule. Ein ausführlicher Schulbuch- und Medienvergleich gibt Aufschluss über zeittypische pädagogische Leitvorstellungen
und veranschaulicht didaktisch-methodische Entwicklungstendenzen.
Für die Weimarer Epoche werden die genannten Einflüsse beispielhaft an der Lehrplanentwicklung in den Städten Duisburg, Köln und Trier
nachgezeichnet, die sich an den preußischen Maßgaben und den Reichsrichtlinien orientieren. Überregionale Vergleichsmöglichkeiten ergeben sich aus
der Gegenüberstellung der bayerischen und hessischen Pläne.
Die Zentralisierung und Politisierung des Schul- und Bildungswesens unter den Nationalsozialisten als Resultat der völkischen Ideologie und des Führerkults
wird – wegen der auch heute noch mahnenden Tragik – in einer detaillierten Analyse unter Einbeziehung des politisch-pädagogischen Einflusses des
Nationalsozialistischen Lehrerbundes (NSLB) auf die Lehrplangestaltung untersucht und unter grundschulrelevanten und -spezifischen Aspekten konkretisiert.
Für die unmittelbare Nachkriegszeit charakteristisch sind die in den westlichen Besatzungszonen unternommenen Bemühungen zur freiheitlich-demokratischen
Überwindung des faschistischen Gedankenguts in Erziehung und Bildung. Der Aufbau eines demokratischen Schulwesens unter dem Einfluss der Westalliierten und die an
die Weimarer Tradition anknüpfende Grundschulentwicklung im föderativen Bildungswesen der Bundesrepublik werden systematisch analysiert und in einem breiten
Aspektrahmen entfaltet.
Mit der Aufarbeitung und Bilanzierung der Reformepoche der Grundschulentwicklung seit Ende der sechziger Jahre wird das gegenwärtig letzte Kapitel der einer
historischen Betrachtungsweise zugänglichen Entwicklung erfasst und mit seinen bis in die Gegenwart reichenden Einflüssen und Auswirkungen dargestellt.
Das Buch schließt mit einem umfangreichen Personen- und Sachregister, das dem Benutzer einen schnellen Zugang zu den vielschichtigen Ebenen, vernetzten Problemen
und verzweigten Aspekten der Grundschulentwicklung ermöglicht und auch den Überblick über Richtlinien, Lehrpläne und wissenschaftliche Entwicklungen
erleichtert.
Der Inhalt
A Sinn und Aufgabe der Untersuchung [1. Bisherige schul- und grundschulgeschichtliche Darstellungen bzw. Teilbeiträge; 2. Zielbestimmung der Studie und
historische Abfolge der epochalen Entwicklung mit den jeweiligen Schwerpunkten und Leitgedanken] · B Zum Phänomen der Historizität [1. Wesen,
Wert und Aufgabe des geschichtlichen Erbes in Hinsicht auf das Selbstverständnis und die Entwicklung des kulturellen, geistigen und gesellschaftlichen Lebens; 2.
Begründungszusammenhang, Problemstellung und Forschungsanliegen einer Schulgeschichte] · C Vorgeschichte der Grundschule [1. Ideengeschichtliche
Wurzeln und institutionelle Vorläufer der Grundschule im Wandel der Zeit: Die Einheitsschulbewegung und der Volksbildungsgedanke im Kontext der politisch-
gesellschaftlichen Entwicklungen bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts; 2. Die Reformpädagogische Bewegung und ihre verschiedenen Strömungen: Ansatzpunkte,
Intentionen und methodisch-didaktische Innovationen der wichtigsten Richtungen als Grundlagen der späteren Unterrichtskonzeption der Grundschule] · D Die
Grundschule in der Weimarer Republik [1. Die Einrichtung der allgemeinen Grundschule durch die Weimarer Reichsverfassung, ihre konkrete organisatorische Strukturierung
und inhaltliche Ausgestaltung durch Gesetze und Verordnungen auf demokratischer Basis; 2. Zur entwicklungspsychologischen Fundierung der Weimarer Grundschulkonzeption:
Die Grundschule als Entfaltungsraum der kindlichen Anlagen und Kräfte; 3. Die Grundschule als Stätte der volkstümlichen Bildung und der Heimaterziehung; 4.
Der Gesamtunterricht: Eine methodisch- didaktische Konsequenz kindlicher Erfahrungs-, Auffassungs- und Denkstrukturen; 5. Zur Praxis der Weimarer Grundschule; 6.
Zusammenfassung: Die Grundschule als Stätte kindgemäßer, lebensnaher und grundlegender Bildung im demokratischen Staat] · E Die
Grundschule im Nationalsozialismus [1. Die Problematik der Vernetzung von Staat, Gesellschaft und Schule im Dritten Reich; 2. Zur Entstehungsgeschichte des
Nationalsozialismus: Weltwirtschaftskrise und Schwäche der parlamentarischen Demokratie in Deutschland; 3. Der Nationalsozialismus als ideologisches System; 4. Die
Politisierung des Erziehungs- und Bildungswesens im Zeichen ideologischer Indoktrination; 5. Grundschulrelevante Richtlinien und Lehrpläne des Dritten Reiches im
Vergleich; 6. Die Überformung der Grundschulpraxis durch die nationalsozialistische Ideologie; 7. Zum Verhältnis von Grundschule und Hitlerjugend:
Grundbildung als Vorstufe der Grundschulung; 8. Zusammenfassung: Die Grundschule unter dem Zugriff des totalen Staates] · F Die Grundschule vom
Zusammenbruch bis zu ihrer Eigenständigkeit (1945 - ca. 1968): Eine Epoche des Wiederaufbaus und der Konsolidierung [1. Gliederungsstrukturen der
Grundschulgeschichte von 1945 bis ca. 1968; 2. Zusammenbruch und Wiederaufbau: Das Schulwesen unter der Bürde der Kriegsfolgen und die Auswirkungen des Zweiten
Weltkrieges auf das Leben der Menschen und die politischen Entwicklungen; 3. Erziehung und Bildung unter der Aufsicht der Siegermächte: Grundzüge und Merkmale
der Schulpolitik im besetzten Nachkriegsdeutschland; 4. Grundschulrelevante Bezüge bildungspolitischer Auseinandersetzungen und Entwicklungen im Spannungsfeld von
Tradition und Reform; 5. Die Wiederanknüpfung an die Weimarer Grundschultradition in den Richtlinien und Lehrplänen der Länder vor der Grundschulreform
der ausgehenden sechziger Jahre: Signifikante Gemeinsamkeiten und Spezifika föderativer Maßgaben in einem Vergleich von Konzeptionen, Intentionen und Inhalten;
6. Struktur, Aufbau, Inhalt und Gestaltung der Lehr- und Lernbücher für die Grundschule zwischen Zusammenbruch und Konsolidierung; 7. Bildungstheoretische,
pädagogische und methodisch-didaktische Aspekte der Grundschulentwicklung im Spiegel zeitgenössischer Auseinandersetzung und kritischer Reflexion; 8. Kritische
Impulse epochalen Wandels: Fortschreibung oder Reform der traditionellen Grundschulkonzeption?] · G Die Konstituierung und Entwicklung der eigenständigen
Grundschule: Organisatorische, pädagogische, bildungstheoretische und didaktische Aspekte epochaler Reformen [1. Politisch-gesellschaftliche Veränderungen,
geistig-kulturelle Provokationen, erziehungstheoretische Neuansätze und bildungspolitische Impulse: Ein Beziehungsgeflecht reformbegünstigender Momente der
Grundschulentwicklung; 2. Beginn und Entwicklung der Grundschulreform: Bildungspolitische, strukturelle, pädagogische und didaktische Neuansätze; 3. Der Wandel
im Verständnis und Auftrag der Grundschule in den Richtlinien und Lehrplanmaßgaben der Bundesländer: Ein synoptischer Vergleich der Anweisungen im
Zeichen des Reformgedankens; 4. Gestaltungskriterien, Konzeption, didaktisch-methodische Struktur und Intention des medialen Angebots für eine reformierte
Grundschularbeit; 5. Symptome und Aspekte epochalen Wandels seit Ende der siebziger Jahre und mögliche Perspektiven künftiger Grundschulentwicklung]
· Bibliographie#S03> · Personenregister · Sachregister