Zu diesem Buch
Kindheit in der Geschichte
hat sich je vollzogen als Bestandteil der Sozial- und Erziehungsgeschichte der Völker, doch fokussiert eine Geschichte der Kindheit auf Konstanten und Wandlungen
im ersten Lebensabschnitt junger Menschen über die Epochen hinweg. Sie kristallisiert nicht nur die Lebensbedingungen von Kindern heraus, sondern erschließt aus
ihnen, welche Stellung sie im sozialen Gefüge inne hatten: das Kindheitsverständnis der Kulturen.
Dieter Hoofs Studien nehmen diesen mentalitätsgeschichtlichen Ansatz auf und nutzen zur Analyse in großem Umfang neben schriftlichen archäologische
Quellen und bildliche Darstellungen der behandelten Mythen und Ereignisse. Immer wieder auch verweist er auf Parallelen und gedankliche Nähen des
Kindheitsverständnisses früherer Epochen zu aktuellen Erscheinungen unserer Zeit.
Die Kinderopfer des Altertums
im biblischen Umkreis, bei den Karthagern und bei den frühgeschichtlichen Griechen zeugen vom Bewusstsein der Verfügbarkeit eines jungen Lebens für die
religiöse und soziale Praxis (Erstgeburtsopfer, Baal-/Moloch-Kult, Artemiskult). Bei den Israeliten gab es starke Überwindungskräfte.
Die griechischen Artemiskulte
haben sich vom Kindesopfer, als es noch in Karthago praktiziert wurde, nicht nur befreit, sondern daraus ein humanistisches Konzept der Mädchenbildung entwickelt, dem
man sich mit unserem modernen Begriff der "Ganzheitlichkeit" nähern kann.
Den hier erzielten Wandel im Kindheitsverständnis dokumentieren die Bildnisse von Kindern, die von den Eltern im Heiligtum von Brauron aufgestellt wurden.
Die Eros-, Engel- und Gotteskind-Darstellungen
schlagen den Bogen vom Altertum zur Neuzeit. An ihnen wird die zunehmende Akzeptanz der Kinder greifbar. So setzt die Verkörperung des Gottes Eros als Kind die
prinzipielle Anerkennung des Kindes durch die Eltern voraus. In den Kinder-Engeln der Frührenaissance wird Kindern ein ursprüngliches, göttlich bestimmtes
Wesen zugeschrieben. Und in den Madonnenbildern drückt ein Kind eine göttliche wie eine menschliche Botschaft aus.
Kindsein im Florenz der Frührenaissance
war für viele ein Leben in Armut. Die künstlerischen Darstellungen von Kindern, die Kinder engelhaft zeigen, sind realutopische Verweise auf ein glücklicheres
Leben.
Der Inhalt
Zur Einleitung: Kindheit in der Geschichte · I. Kinder auf dem Blutaltar und im Feuerofen – Die Israeliten in der Auseinandersetzung mit dem Baal und
dem Moloch [1. Das Lebensrecht des Kindes. Erste Bestimmung einer Grundgegebenheit; 2. Kinder-Opfer: Thematische Eingrenzung; 3. Das Quellen-Problem; 4. Epochen
und Aspekte der israelitischen Geschichte und Religion; 5. Zwischenthema: Kinderopfer bei den Karthagern; 6. "Der Herr befiehlt Abraham, seinen Sohn Isaak zu opfern"; "Alle
Erstgeburt ist mein", spricht der Herr; 8. "Sie ließen ihre Söhne und Töchter durchs Feuer gehen"; 9. Kindesleben als Objekt der Preisgabe. Weitere
alttestamentliche Fälle (Hiel von Bethel und Jephtha von Gilead); 10. Phönizische Akzente in später Zeit; 11. Weiterer Aspekt: Kindesleben in der
Verfügungsmacht menschenverachtender Despoten – Die Legende vom bethlehemitischen Kindermord] · II. Die Kinder von Brauron –
Annäherung an die Lebensvollzüge in einer paradigmatisch aufleuchtenden Institution [1. Das Artemis-Heiligtum von Brauron; 2. Das Gebiet von Brauron; 3.
Bildungsgeschichtliche Aspekte des Heiligtums; 4. Bisherige Untersuchungen und weiterführende Studien; 5. Die antike Stadt Brauron und das Heiligtum: Topographie,
Archäologie und Imagination; 6. Das ausgehende 4. Jh. v. Chr.; 7. Mythologische Nachrichten im Umkreis des Iphigenien-Opfers; 8. Brauron und Athen in historischer Zeit;
9. Der Artemis-Kult von Brauron in historischer Zeit; 10. Der Bärinnen-Dienst mit den Arkteia im Zusammenhang athenischer Mädchenbildung; 11. Zusammenfassung:
Bewusstseinsinhalte im Artemis-Kult; 12. Kinder blicken uns an] · III. Historische Fortführung: Symbolische Kräfte vom Altertum bis zur Neuzeit (Eroten,
Engel Gottes und das göttliche Kind) · IV. Eine Stadt und ihre Kinder – Florenz in der Frührenaissance [1. Der neue Impuls des Zeitalters;
2. Historischer Abriss · 3. Kunst und gesellschaftliche Wirklichkeit; 4. Kinder- und Jugendleben; 5. Kinder in humanen Symbolwelten. Wie die florentinische Plastik der
Frührennaissance Wirklichkeit und Fiktion von Kindheit vermittelt] · V. Fortsetzung ohne Ende: Die Engel-Kinder · Anhang: Quellen, Literatur,
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