Zu diesem Buch
Mit diesem Buch wird eine dreijährige konzentrierte Erforschung der Geschichte der jüdischen Bevölkerung Wittens dokumentiert. Erste Ergebnisse der 1979/81
begonnenen und seit dem Frühjahr 1988 intensivierten Studien wurden zum 50. Jahrestag des Novemberpogroms von 1938 in der Ausstellung Jüdisches Leben in
Witten 1800-1945 vorgestellt. Jetzt wird eine in der Erforschung jüdischen Lebens unter dem Nationalsozialismus wohl einzigartige Darstellung der Biografien fast aller
jüdischen Bürgerinnen und Bürger einer deutschen Stadt vorgelegt.
Die Konzeption ihres Buches stellen die Autoren in der Einleitung vor: "Die kalte Anonymität der zu Vernichtungszahlen geronnenen Einzelschicksale erleichtert
die Verdrängung des Völkermordes. ... Das vorliegende Gedenkbuch versteht sich als ein Beitrag zu(r) ... notwendigen Erinnerungsarbeit. Die in ihm enthaltenen
Forschungsergebnisse sollen in einem ersten Schritt den jüdischen Opfern der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik in Witten ihre Namen
wiedergeben. Damit gewinnen sie ihre Individualität zurück, die ihnen durch die Nationalsozialisten genommen worden war."
Den ersten Hauptteil des Buches bilden 813 Kurzbiografien jüdischer Bürgerinnen und Bürger, die zwischen 1853 und 1945 in Witten lebten. Die
Biografien sind in alphabetischer Ordnung der Familiennamen aufgeführt und enthalten soweit ermittelt neben den Geburts- und Sterbedaten Angaben über
Herkunfts- und Wegzugsgemeinde, Eltern, Schulbesuch, Beruf, Ausbildungs- und Arbeitsstätte sowie die Stationen von Flucht, Vertreibung oder Deportation. 126
Fotografien und 54 Reproduktionen von Dokumenten erinnern an die Menschen und ihre Schicksale. Die Angaben sind für jede Einzelbiografie wiedergegeben und bieten
so vor allem der familiengeschichtlichen Forschung detaillierte Anhaltspunkte.
Die Geschehnisse des Holocaust haben dazu geführt, dass die für die einzelnen Biografien zur Verfügung stehenden Informationen sehr unterschiedlich sind.
Nur bei ausgesprochen guter Quellenlage oder für die Überlebenden, die zu näheren Auskünften bereit waren, ließ sich der Lebensweg
ausführlicher darstellen. Viel zu oft endet ein Eintrag daher mit dem Hinweis: "Der weitere Lebensweg von ... war nicht zu ermitteln." Herausgeber und Autoren hoffen, dass
sich viele dieser Lücken nach der Veröffentlichung des Buches werden schließen lassen.
Im zweiten Hauptteil des Buches kommen Überlebende der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie selbst zu Wort. Die Intention dieses Verfahrens
erläutern die Autoren in der Einleitung: "Selbstzeugnisse und lebensgeschichtliche Interviews vermitteln ... einen Eindruck von der Dimension der subjektiven
Alltagserfahrung. ... Der Verfolgungs- und Vernichtungsprozeß wird konkret nachvollziehbar, die Betroffenen werden zu Individuen, deren Einzelschicksale sich nicht in der
Anonymität angehäufter Daten verlieren."
In den Abschnitten
– Diskriminierung im Alltag,
– Rassische und politische Verfolgung,
– Novemberpogrom 1938,
– Emigration und Flucht,
– Deportation,
– Zwangsarbeit und Konzentrationslager,
– Befreiung
lassen die Betroffenen in erschütternden Erzählungen eine Vergangenheit wieder aufleben, die dem heutigen Leser unfassbar erscheint und dennoch für
jüdische Bürger der Alltag war: Verachtung, Demütigung, Verelendung und Vernichtung. Erst wer diese Selbstzeugnisse gelesen hat, kann ermessen, was die
Zielsetzung der Herausgeberin umfasst, "... daß ohne die Bereitschaft zur Erinnerung eine Versöhnung nicht möglich sein kann."
Eingeleitet wird das Buch durch eine statistische Auswertung der in den Kurzbiografien vorgestellten Lebensläufe. In 7 Grafiken, 7 Tabellen und 2 Karten wird das
Schicksal der jüdischen Bürgerinnen und Bürger Wittens dargestellt.
Den Anhang leitet das Quellenverzeichnis ein, das einen Eindruck von der ungeheuren Materialfülle bietet, die für diesen Band zu bewältigen war. Nach
einem Literatur- und Dokumentenverzeichnis folgt das detaillierte Orts- und Länderregister, das dem forschenden Benutzer die Herkunfts- und Verbleibeorte der in den
Biografien Genannten unmittelbar erschließt. Dabei erleichtert die zusätzlich zum Ortseintrag beim Ländereintrag vorgenommene Aufnahme aller
zugehörigen Ortsnamen der internationalen Forschung den Zugang zu diesem Werk.
Im Resümee ist dieses Buch nicht nur ein Appell zur Besinnung an die Wittener Bevölkerung und die durch die politischen Ereignisse unmittelbar betroffenen
Einwohner der Nachbargemeinden des Ruhrgebietes (insbesondere Bochums, Dortmunds und Essens). Es ist darüber hinaus durch seine methodische Konzeption eine
beispielgebende Studie, wie die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung unter dem Nationalsozialismus grundlegend erforscht und einem breiten Leserkreis so
dargestellt werden kann, dass ihm eine Identifikation mit ihrem Ziel, Erinnerung als Grundlage für die Versöhnung zu schaffen, hergestellt werden kann. Daneben ist
es wegen seiner Materialfülle ein hilfreiches Handbuch für die regional- und zeitgeschichtliche, die genealogische wie die sozial- und religionsgeschichtliche
Forschung.
Der Inhalt
Vorwort · Einleitung · Teil 1: Biographien · Teil 2: Selbstzeugnisse · Anhang [Quellenverzeichnis;
Literaturverzeichnis; Dokumentenverzeichnis; Photoverzeichnis; Orts- und Länderregister]