Zu diesem Buch
Dass eine Sinnwelt Basis jeder Herrschaft ist,
ist Gerhardt Petrats Ausgangspunkt seiner Analyse der Stellung des Hofnarrentums von der Mitte des 17. bis zur Mitte des 18. Jh., jenem Zeitraum, in dem –
beginnend mit Ludwig XIV. – die Hofnarren aus den Etats der europäischen Fürsten gestrichen wurden.
Die in der Vorstellung vom Gottesgnadentum ausgedrückte Repräsentanz des "Guten" im Herrscher bedarf ihrer Ergänzung durch einen Repräsentanten
des "Bösen" – erst dadurch erhält der metaphysische Dualismus ein sinnfälliges Deutungsmuster. In der Dichotomie von Fürst und Hofnarr ist es
greifbar und begründet die herausgehobene Stellung des Narren bei Hofe: Indem er dem Herrscher "den Spiegel vorhält", erinnert er ihn daran, dass er sich der
Gnade Gottes als würdig zu erweisen hat. Diese systemimmanente Gleichrangigkeit wird aber – wieder systemimmanent – korrigiert: Die Repräsentanz
von "Gut" und "Böse" findet ihren Ausdruck im feierlichen Ornat des Fürsten einerseits und in der Missgestalt des Hofnarren andererseits.
Der Hofnarr als moralische Instanz
hat also nichts gemein mit jenem Possenreißer, als der er heute gilt. Diese Betrachtung nimmt einerseits nur die Form auf, in der der Hofnarr seine Funktion als Korrektiv
des Herrschers wahrnahm, um dessen Integrität nicht zu verletzen, wenn er seine Amtsführung kritisierte. Sie nimmt andererseits jene Erscheinungen des
Hofnarrentums auf, die sich mehrten, als die Hofnarren ihrer Funktion verlustig gingen.
Der Abgesang des Hofnarrentums
spiegelt das Ende des ihn tragenden metaphysischen Deutungsmusters wider: Wenn der Monarch sich nicht mehr als Objekt eines göttlichen Gnadenaktes begreift,
entfällt auch die Notwendigkeit, dem Widerpart des "Guten" einen personifizierten Ausdruck zu verleihen. Folgerichtig wird die Sonderstellung des Hofnarren aufgelöst
in die Funktion eines Angestellten des Hofstaates. In einem letzten Schritt kann der Hof dann ganz auf ihn verzichten: Aus der unangreifbaren Institution wird ein Hanswurst der
höfischen Gesellschaft, der nicht einmal mehr seines Lebens sicher sein kann.
An Elf Figuren eines epochalen Ausklangs
zeigt Gerhardt Petrat, wie sich die Auflösung des Hofnarrentums in der Praxis vollzog und beleuchtet das Geschick der betroffenen Personen.
Beginnend mit Perkeo, an dem sich der Übergang einer höfischen Institution zu einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis vollzieht,
über David Faßmann, der von Narrenseite das Tabu durchbricht, keinen Hofklatsch an die Öffentlichkeit zu bringen, bis zu Baron v. Pöllnitz,
dem Friedrich II. ein Gnadenbrot gewährt, werden einige Schicksale jener skizziert, die den Untergang einer Sinnwelt am eigenen Leibe erlebten.
Der Inhalt
Prämissen · I. Verlust der tragenden Sinnfälligkeit [1. Der Verzicht auf den Hofnarren und seine Kehrseite · 2. Das Gleichnis der
Hölle und die Minimierung des Transfers · 3. Der Zwergenkult als höfische Symbolvariante · 4. Verfehlte Überfrachtung des Symbolbereiches
· 5. Demonstration neuer Hofkultur im enthemmten Jagdeifer · 6. Ausgelebte Sinnlichkeit ohne Sinnfälligkeit · 7. Die neue Lustbarkeit ohne
närrische Störaktionen · 8. Der Hof ohne Narren: Eliminierungsgründe · Zwischenbilanz] · II. Die Kadenz: Elf Figuren eines
epochalen Ausklanges [1. Der uneigentliche Hofnarr als Modellvorstellung: Simplicius Simplicissimus · 2. Einseitiges Treueverhältnis: Der Hofnarr Clemens von
Heidelberg, genannt Perkeo · 3. Josef Levi Oppenheimer, genannt "Süß": Auch Hofnarr, aber nicht nur! · 4. Jakob Paul Gundling (1668-1731):
Gelehrter Tor und Hofnarr wider Willen · 5. David Faßmann (1683-1744): Antinarr auf Zeit bei Hofe · 6. Solomon Jacob Morgenstern (etwa 1710-1785):
Kurzes, doch ergiebiges Gastspiel als Hofnarr · 7. Dresdner Narrenresidenz und ihr Vorsteher Joseph Fröhlich (1694-1757) · 8. Johann Jacob Heidegger
(1659-1749): Der für einen Narren gehaltene Schweizergraf · 9. Peter Prosch (1744-1804): Hofnarrentum als Teilzeitbeschäftigung · 10. Karl Ludwig
Wilhelm Baron v. Pöllnitz (1691-1775): würdeloser Abgang · 11. Der Nachzügler: Das Sonntagsblatt "Der Hofnarr" (1834/35) · Nachtrag: Der
Monarch der Neuzeit und sein Narr: Leibniz und sein getreuer ECCARD] · Literaturverzeichnis