Zu diesem Buch
Zur Ideen- und Geistesgeschichte
Fritz-Peter Hager ordnet Rousseaus religionsphilosophische Konzeption grundsätzlich in die Geschichte der philosophischen Theologie Europas ein. Er zeigt, dass
gerade Rousseau den aufklärerischen Ehrgeiz, das Verhältnis zwischen Gott und Mensch in der Religion primär von den Erkenntnissen der menschlichen
Vernunft her bestimmen zu wollen, auf die Spitze getrieben hat: In der berühmten "Profession de foi du Vicaire Savoyard" im vierten Buch seines Erziehungsromans "Emile"
hat er die Existenz Gottes mit Vernunftgründen bewiesen und von seiner vernünftigen Naturreligion her die Offenbarungsreligionen kritisiert und in seiner
Erziehungslehre die (freilich problematischen) Konsequenzen daraus gezogen.
József Koch analysiert den Aufklärungsdenker Kant, der die "Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" behandelte, als Vertreter einer
humanistischen Sittlichkeitsreligion und Kritiker der autoritären Offenbarungsreligion. Im Mittelpunkt seines Beitrags steht das systematische Interesse, die Bedeutung der
Kantschen Religionsphilosophie für die gegenwärtige Situation in den osteuropäischen Staaten wie in den westlichen Industrienationen herauszuarbeiten.
Christoph Lüth legt eine klug abwägende Interpretation von Lessings "Erziehung des Menschengeschlechts" vor. Lüths Schwerpunkt liegt auf der
Frage, ob die dritte Stufe in Lessings Konzeption der Erziehung des Menschengeschlechts durch Gott – nach den Stufen religiöser Offenbarung im Alten und im
Neuen Testament – das Zeitalter der Vernunft ist. Die komplexen Fragen zum Verhältnis von Vernunft, Offenbarung und Erziehung diskutiert er kenntnisreich und
umsichtig.
Joan K. Smith und JoAnn M. Rapp stellen die Auffassungen zweier Gründerväter der Vereinigten Staaten von Amerika, Thomas Jefferson und Benjamin
Rush, vergleichend dar. Trotz ihrer gemeinsamen Befürwortung des dreigliedrigen öffentlichen Schulwesens und der Grundauffassung, dass das Christentum die
Grundlage für die sittliche Erziehung des Menschen sein solle, sind ihre Schlussfolgerungen für die religiöse Erziehung konträr: Jefferson lehnt eine
staatlich verankerte Institutionalisierung der religiösen Erziehung ab, Rush befürwortet sie.
Von der Aufklärungsphilosophie zur Erziehungspraxis
Gerald Grimm beschreibt die eudämonistisch-realistische Konzeption der religös-wissenschaftlichen Bildung des Modeneser Theologen, Historikers und
Staatsphilosophen Ludovico Antonio Muratori (1672-1750), eines Repräsentanten der italienischen katholischen Frühaufklärung, und bewertet ihre Bedeutung
für die österreichischen Schulreformen im Zeitalter der Aufklärung.
Dieter Jedan behandelt Theorie und Praxis des Schulexperiments, das der Pestalozzianer und Pestalozzi-Schüler Joseph Neef (auch Franz J. Neef, 1770-1854) in
New Harmony (Indiana, ab 1826) durchführte, wobei der moralisch-religiöse Aspekt dieses Erziehungskonzepts besonders gewürdigt wird. Neefs
Weiterentwicklung des von Rousseau und Pestalozzi entwickelten Konzepts der naturgemäßen Erziehung bezieht die grundsätzlichen pädagogischen
Überzeugungen immer auf die praktische pädagogische Arbeit.
Sozial- und realgeschichtliche Aspekte
Dagmar Capková untersucht die Entwicklung der religiösen Erziehung in den tschechischen Ländern (Böhmen, Mähren, Schlesien) in ihren
sozialen, politischen, ökonomischen, religiösen, nationalen und kulturellen Aspekten. Die mittlere der drei Phasen der tschechischen Aufklärung, die
Josephinische Ära 1780-1790, war für den Wandel in der Religionsauffassung die wichtigste: die Erziehung wurde vom kirchlichen Dogmatismus befreit.
Lawrence Williams befasst sich in seinem spannend geschriebenen Aufsatz mit der religiösen Toleranz, welche zwischen 1780 und 1830 in den aufgeklärten
Schulen von Edinburgh von den presbyterianischen Herren des schottischen Schulsystems den katholischen Kindern gegenüber geübt wurde und erklärt, wie es
zu dieser von der Aufklärung inspirierten Haltung trotz vorheriger kriegerischer Auseinandersetzungen mit darauffolgender Repression der Unterlegenen gekommen ist.
Die Beiträge
Dagmar Capková
Religion and Enlightenment. The Case of the Czech Lands
Gerald Grimm
Die pädagogischen und bildungspolitischen Konklusionen von Ludovico Antonio Muratoris Konzeption "cattolicesimo illuminato" und deren Bedeutung für die
österreichischen Schulreformen im Zeitalter der Aufklärung
Fritz-Peter Hager
Rousseaus "Profession de foi du Vincaire Savoyard" als Dokument aufklärerischer Religionsphilosophie, und die pädagogischen Konsequenzen von Rousseaus
Auffassung über die Religion
Dieter Jedan
Neef's Education in New Harmony: The Role of Religion and Morals in Utopia
József Koch
Kritik an der autoritären und Glaube an die humanistische Religion: I. Kants Religionsauffassung
Johann-Christoph Lüth
Lessings "Erziehung des Menschengeschlechts". Von der Religion zur Vernunft?
Joan K. Smith, JoAnn M. Rapp
Enlightenment Philosophy and the Concept of Religion of Thomas Jefferson and Benjamin Rush
Lawrence A. Williams
Religious Toleration in "Enlightened" Edinburgh Schools 1780-1830